05-02-2007
Inzucht und Linienzucht-Chance und Risiko Pferdezüchter haben Erfahrungswerte. Sie wissen, dass sich enge Verwandtschaftszucht auf Merkmale, die mit Vitalität, Fruchtbarkeit und Wachstum zusammenhängen, eher negativ auswirken kann. Doch wenn Pferde möglichst viele Erbanlagen hervorragender Vorfahren führen sollen, lässt sich Inzucht nicht vermeiden. Manche Züchter versuchen dann, den Blutanteil eines berühmten Vorfahren mit milder Verwandtschaftszucht zu erhalten. In den USA wird diese Zuchtmethode Linienzucht genannt. Doch auch der Linienzüchter bewegt sich immer zwischen Inzuchtchance und Inzuchtrisiko.
So entsteht Inzucht Inzucht entsteht immer in geschlossenen Pferderassen und mit der bewussten oder unbewussten Paarung von Verwandten. In einer begrenzten oder geschlossenen Rasse werden auch unter Zufallspaarung mit zunehmender Generationsfolge schließlich alle Tiere miteinander verwandt, so dass Inzucht unvermeidlich wird. Ein eher extremes Beispiel für geschlossene Rassen sind die Przewalski-Pferde und die Davenport-Araber. Alle lebenden Przewalski-Pferde lassen sich auf nur 13 gemeinsame Ahnen zurückführen. Davenport-Araber wurden aus nur 14 Gründertieren aufgebaut. Die Blutsverwandtschaft ist in beiden Rassen heute sehr hoch, zumal keine anderen Pferde eingekreuzt werden. Sie hat aber noch nicht zu solchen Leistungsdepressionen geführt, die das Überleben der Pferde in Frage stellen. Bewusste Inzucht hat andererseits bei der Entstehung vieler Pferderassen zunächst eine wichtige Rolle gespielt. Hier liegt ein alter Gedanke der Tierzüchter zugrunde, mit Verwandtschaftszucht Typ, Form und Eigenschaften bei den Tieren zu konsolidieren. Inzucht wird somit oft auch als intensivste Form der Reinzucht angesehen, da sie im Extrem tatsächlich zu genetisch fast identischen Tieren führen könnte, die sich auch in nachfolgenden Generationen wenig verändern. So verdrängt Inzucht auch die genetisch bedingten Unterschiede in einer Linie. Inzucht entsteht beim Pferd auch unbewusst durch eine Elitebildung, worunter wir den bevorzugten Einsatz weniger Spitzentiere verstehen, und das durchaus auch in zahlenmäßig scheinbar sehr großen Rassen. So haben sich die Züchter in England und Irland beim englischen Vollblutpferd über Jahrhunderte hinweg, auch ohne die modernen Reproduktionstechniken, auf nur ganz wenige Elitetiere konzentriert. An der Universität von Dublin haben Prof. Cunningham und Mitarbeiter gezeigt, dass heute 95 Prozent aller aufgestellten Hengste dort nur noch auf den Stammvater Darley Arabian (geb. 1701) und 75 Prozent aller aufgestellten Stuten nur noch auf zehn Stammmütter aus dem 18. Jahrhundert zurückgehen. Eine ähnliche Konzentration auf wenige berühmte Vererber können wir neuerdings auch beim US Western Pferd beobachten. Impressive, King und Doc Bar sind hierfür bereits eindrucksvolle Beispiele. Um Inzuchtfolgen abzuschätzen sollte man also auch in einer zahlenmäßig scheinbar sehr großen Rasse schon wissen, wie viel Tiere dort tatsächlich Erbanlagen an die nächste Generation weitergegeben haben.
So wirkt Inzucht Inzucht entsteht durch die Paarung von Verwandten, die natürlich gemeinsame Vorfahren haben. Fohlen aus Paarungen von Verwandten werden Erbanlagen von Vater und Mutter erhalten, die nur von diesem gemeinsamen Ahnen stammen, d.h. Kopien ein und derselben Gene, die der gemeinsame Vorfahre besessen hat. Es kommt so zu einer Zunahme herkunftsgleicher identischer Gene. Genorte mit identischen Erbanlagen bezeichnet man auch als homozygot. Inzucht führt somit zu einer Steigerung der Homozygotie. Die Richtung der Homozygotie aber lässt sich nicht voraussagen und hier liegt das eigentliche züchterische Risiko. Am C-Farbgenort von Füchsen können gerade beim Westernpferd zum Beispiel die beiden homozygoten Typen CC (Füchse) und CRCR (Cremellos) oder die heterozygoten CCR (Palominos) Farbtypen auftreten. Fortgesetzte Inzucht ohne züchterischen Eingriff verdrängt an diesem Genort die CCR-Typen und vermehrt die identisch besetzten CC oder CRCR Typen. Letztendlich sind in unserer hypothetischen Linie nur noch Cremellos oder aber nur noch Füchse vorhanden. Doch in welche Richtung dies verläuft, lässt sich nicht voraussagen. Wir wissen also im Grunde nicht, für welche Erbanlagen ein ingezüchtetes Tier bzw. eine Rasse homozygot wird.
Inzuchtgrad für das Fohlen ermitteln Man kann den Zuwachs identischer Erbanlagen aber mit dem Inzuchtkoeffizienten abschätzen. Er ist ein statistisches Maß, leitet sich aus der Blutsverwandtschaft ab und wird heute vorwiegend mit dem Hochleistungscomputer über Pedigreeanalysen ermittelt, so dass man auch einen Anhaltspunkt für die durchschnittliche Zunahme herkunftsgleicher Gene in einer Rasse enthält. Auch der Züchter kann den Inzuchtgrad seines Pferdes aus dem Pedigree abschätzen. Für unsere PHCG e.V. eingetragenen Hengste und Stuten haben wir diese Möglichkeit direkt in unserem elektronischen Zuchtbuch. Ein Fohlen aus der Paarung von Halbgeschwistern wird zum Beispiel schon einen solchen Zuwachs von 12,5 Prozent besitzen, bei einem Fohlen aus der Paarung von Elternnachkommen oder Vollgeschwistern werden identische Erbanlagen um 25 Prozent erhöht. Diese Paarungen findet man bei Pferden aber selten, da die Züchter enge Inzucht meist bewusst vermeiden. Sind aber zum Beispiel schon zwei Urgroßeltern identisch, wird ein Zuwachs herkunftsgleicher Gene von drei Prozent erreicht. Bei Zufallspaarung wird die Steigerung des Inzuchtkoeffizienten in einer geschlossenen Rasse von der Anzahl Hengste und Stuten abhängen, die Erbanlagen an die nächste Generation weitergeben. Die meisten Pferderassen werden heute noch unter milder Inzucht geführt, mit Zuwachsraten von etwa einem halben Prozent pro Generation. Werden allerdings Vererber über mehrere Generationen bevorzugt eingesetzt (Elitebildung), kann dies bereits zu einem deutlichen Inzuchtzuwachs führen. Auch der unkontrollierte Einsatz neuer Reproduktionsmethoden (künstliche Besamung) kann die genetische Vielfalt in einer Rasse verdrängen. Pferdezüchter umgehen Inzucht zwar oft bewusst, da sie ihre negativen Auswirkungen fürchten, doch in einer geschlossenen Rasse und bei Elitebildung wird Inzuchtzuwachs selbst bei offenen Zuchtbüchern unvermeidlich sein.
Inzucht beim Fohlen Eine Generation Erwartete Zunahme der Genorte Verwandtschaftspaarung mit herkunftsgleichen Genen Vater - Tochter 25 % Mutter - Sohn 25 % Vollgeschwister 25 % Halbgeschwister 12,5 % Großeltern - Enkel 12,5 % Onkel - Nichte 12,5 % Vetter - Cousine 6,3 % Ein gemeinsamer Großelter 3,1 % Ein gemeinsamer Urgroßelter 1,6 % Zwei gemeinsame Urgroßeltern 3,1 % Drei gemeinsame Urgroßeltern 4,7 %
Erbfehler können vermehrt auftreten Zunehmende Inzucht kann tatsächlich unerwünschte Auswirkungen auf Leistungsmerkmale haben und die Wahrscheinlichkeit für das Ausspalten möglicher Defekte erhöhen. Doch diese Auswirkungen werden beim Pferd nicht selten überinterpretiert. Es gibt in der Pferdezucht durchaus Einzelbeispiele für eine erfolgreiche Anwendung auch enger Verwandtenpaarung, aber nur wenn diese zugleich mit dem konsequenten Zuchtausschluss unerwünschter Produkte verbunden ist. So hat man in Pferderassen oft auch Träger von Erbfehlern erkannt und Schadgene eliminiert. Dies betrifft vor allem solche unerwünschten Erbanlagen, die erst in doppelter Kopie, also homozygot sichtbar werden. Inzucht fördert also auch das Aufdecken schädlicher Erbanlagen, was neuere Beispiele im US Quarter Horse und Paint für den schweren Stoffwechseldefekt GBED und auch für die Hautanomalie HERDA aufzeigen. Gleiches trifft für den tödlichen Hautdefekt JEB im Belgischen Kaltblutpferd und für den Immundefekt SCID im Arabischen Vollblutpferd zu. Das im Vergleich zu den USA recht geringe Risiko einer SCID Erkrankung im deutschsprachigen Raum führen wir beim Arabischen Pferd gerade auf die forcierten Verwandtschaftspaarungen in den USA zurück. Bei betroffenen kranken Pferden, den homozygot Rezessiven, findet sich auf der Vaterseite und auf der Mutterseite immer ein identischer Vorfahre im Pedigree. Die Fohlen können so von dem Vater und von der Mutter identische Erbanlagen erhalten, die von diesem gemeinsamen Vorfahren stammen. Trägt der Vorfahre nun aber auch ein Gen mit schädlicher Wirkung, dann wird die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten kranker Homozygoter mit der Verwandtschaftszucht deutlich erhöht. Es ist durchaus denkbar, dass Pferdezüchter in frühen Generationen schon viele solche Erbanlagen über Inzucht erkannt und ausgeschaltet haben, und wir finden heute beim Pferd im Vergleich zu den anderen Haustieren tatsächlich wenig Erbfehler.
Leistungsreduktion zunächst oft nicht erkannt So liegt das Inzuchtrisiko weniger im Auftreten unerwünschter einzelner Schadgene. Es gilt in der Regel, hohe Inzuchtgrade zu vermeiden, um Leistungsdepressionen zu verhindern. Bei verschiedenen Pferderassen konnten doch schon unerwünschte Folgen zunehmender Blutsverwandtschaft auf Fruchtbarkeitsmerkmale, Größenmaße, Gelenksanomalien und Rittigkeitsmerkmale aufgezeigt werden. Mit zunehmender Inzucht wird in Pferderassen auch von Verhaltensstörungen, insbesondere auch von gestörten Mutterinstinkten berichtet. Für Genorte, die Merkmale wie Vitalität, Fruchtbarkeit und Wachstum beeinflussen, scheint es im allgemeinen günstiger zu sein, nicht mit identischen Genen besetzt zu sein. Hier kann der Züchter eine Veränderung an seinem Einzeltier zunächst aber meist nicht erkennen. Nur exakte Merkmalserhebungen und eingehende Verwandtschaftsstudien in der ganzen Rasse decken unerwünschte Veränderungen rechtzeitig auf. So konnten Wissenschaftler an der Universität Mailand am italienischen Haflinger eine Reduktion der Widerristhöhe und des Brustumfanges mit zunehmender Inzucht aufzeigen. Beim italienischen Haflinger hat sich das Stockmaß im Mittel um 1,1 cm vermindert, wenn der Inzuchtkoeffizient der Pferde um 10 Prozent angestiegen ist. Ähnliches zeigt eine neue Analyse im Friesen Pferd. Ein erheblich reduzierter Abgang der Nachgeburt, der meist tierärztliche Unterstützung bedarf, hat dort dramatisch zugenommen und konnte in eindeutigem Zusammenhang mit zunehmenden Verwandtenpaarungen aufgedeckt werden. Solche Analysen müssen nicht nur für Erkrankungen, sondern auch für Leistungsmerkmale stärkere Beachtung finden. Dies ist auch dann zu empfehlen, wenn Selektionsmaßnahmen durchgeführt werden, der Einsatz von Vatertieren sich nur noch auf wenige Hengste beschränkt und keine Einkreuzungen erfolgen. So ist es aus züchterischer Sicht durchaus falsch und fahrlässig, eine Rasse als "inzuchtresistent" zu bezeichnen, wenn eingehende Generationsstudien zur Inzucht überhaupt nicht erfolgen.
Auch mit Linienzucht eher hohes Risiko Inzucht hat also im allgemeinen doch unerwünschte Folgen. Um nun aber möglichst viele Erbanlagen für Leistungsmerkmale eines berühmten Ahnen zu erhalten, zugleich aber die Nachteile enger Verwandtschaftspaarung zu umgehen, wird in den USA nicht selten eine Zuchtmethode gewählt, die man dort Linebreeding nennt. Der Linienzüchter betreibt vorwiegend mäßige Inzucht. Die Töchter eines berühmten Vererbers werden zum Beispiel an seine Enkel verpaart, was einen Zuwachs herkunftsgleicher Gene von etwa sechs Prozent zur Folge hat. Doch auch der Linienzüchter bewegt sich immer zwischen Inzuchtchance und Inzuchtrisiko. Bei zu hohem Blutanteil des Linienbegründers steigt das Risiko der Leistungsminderung, bei zu geringem Blutanteil können die Erbanlagen des Stammtieres andererseits nur ungenügend genutzt werden. Bei gleichzeitiger Selektion werden negative Inzuchtauswirkungen aber deutlich reduziert. Der verantwortungsbewusste Linienzüchter wird Tiere, bei denen er Leistungsdepressionen erkennt, nicht zur Weiterzucht zulassen und auch nicht an andere Züchter verkaufen. Durch Kreuzung solcher Linien, die mit etwas verschiedenem Zuchtziel geführt werden, konnten beim englischen Vollblut und auch beim Western Pferd nicht selten besonders erfolgreiche Pferde erhalten werden. In Inzucht steckt also auch eine züchterische Chance, allerdings nur wenn man zugleich mögliche unerwünschte Folgen und damit auch ein erhöhtes wirtschaftliches Risiko toleriert. Dem Einzelzüchter aber muss schon aus wirtschaftlichen Gründen empfohlen werden, enge Verwandtschaftspaarungen zu vermeiden. Leistungsprüfungen und konsequente Zuchtprogramme können heute beim Pferd zu sicheren Zuchterfolgen führen. Eine sinnvolle Zuchtplanung, dies gilt insbesondere auch für die Erhaltung kleiner Rassen, wird immer auch den möglichen Inzuchtzuwachs einbeziehen. Dies kann ja schon vor einer Paarung aus der Verwandtschaft von Hengst und Stute ermittelt werden, was von großem Vorteil auch bei der Zuchtwahl ist. Beim Vergleich der Pedigrees sollte der Züchter möglichst fünf Generationen auf identische Vorfahren bei Zuchtstute und Zuchthengst prüfen. In vielen Zuchtverbänden, so zum Beispiel auch beim PHCG, können Mitglieder bereits vorhandene Inzucht für eingetragene Zuchttiere bei der Zuchtleitung abfragen. Für ausgedehnte Populationsstudien stehen zudem neue molekulargenetische Methoden und ausgefeilte statistische Techniken zur Verfügung.
Dr. Ines von Butler-Wemken .
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